Was ist eine psychische Traumatisierung?


Ein psychisches Trauma ist eine Reaktion auf eine Extremsituation, auf die ein Mensch nicht angemessen vorbereitet ist und die alle seine Bewältigungsmechanismen überfordert. Die Bedrohung geht einher mit dem Erleben von intensiver Furcht, Ohnmacht, Hilflosigkeit und/ oder Entsetzen.

Bei Kindern, vor allem unter vier Jahren, können die Gefühle des Entsetzens und der Ohnmacht nicht sichtbar werden, da Kleinkinder bei akuter Bedrohung ihr Erleben abspalten (dissoziieren).

Es gibt einzelne traumatisierende Ereignisse, etwa wie ein schwerer Unfall oder ein Gewaltverbrechen, und es gibt kumulative Traumatisierungen. Hier können z.B. auch wiederholte oder lang dauernde Kliniksaufenthalte bei Kindern zählen. Viele Mitarbeiterinnen kennen die sehr heftigen und scheinbar überschießenden Reaktionen auf medizinische Eingriffe bei chronisch erkrankten Kindern. Sie können Anzeichen für eine Traumatisierung sein.

Ich möchte einige neurophysiologische Erkenntnisse aus der Traumaforschung erwähnen:

Die Reaktionen auf eine extreme Gefahr und vor allem die Verarbeitung des Erlebten laufen unbewußt und automatisch ab und haben ihren Ursprung im limbischen System des Gehirns.
Im limbischen System sind es vor allem zwei Strukturen, die den Körper auf Stress reagieren lasen: Die Amygdala, auch Mandelkern genannt und der Hippocampus. Wenn ein überflutender Reiz auf das Gehirn trifft, gibt die Amygdala binnen Bruchteilen von Sekunden sofort „Großalarm“: Über eine Schnellverbindung zum Hypothalamus bewirkt sie eine massive Ausschüttung von Stresshormonen, die den Körper augenblicklich zur Flucht oder zum Kampf befähigen. Kann der Körper nicht adäquat reagieren, also weder fliehen noch kämpfen – und dies ist oft in traumatischen Situationen der Fall -  führt die Überflutung mit Stresshormonen zu einer Erstarrung, auch Freezing genannt: Der Mensch wird bewegungsunfähig, erscheint wie in Trance, obwohl in seinem Innern totales Chaos herrscht.

Die massive Stresshormon-Ausschüttung ist auch verantwortlich für mögliche abnormen Reaktionen des Betroffenen in der Extremsituation (z.B. lautes Schreien, Umherlaufen, „unsinnig“ erscheinende Handlungen). Der ganze Organismus ist vollkommen durcheinander.
Dieses Durcheinander bewirkt auch eine veränderte Verarbeitung des Erlebten. Hierzu möchte ich einen kurzen Abstecher zu den Gedächtnissystemen des Gehirns machen:
Amygdala und Hippocampus sind Schaltstellen für das Weiterleiten von Informationen zu den Gedächtniszentren des Gehirns.
Der Hippokampus verarbeitet Informationen, die das Erlebte in den Kontext der persönlichen Geschichte eingliedern („wann ist was in welchem Verlauf geschehen?“), und ist mit dem Thalamus und den Sprachzentren der linken Großhirnrinde verbunden.
Der Hippocampus wird bei einem traumatischen Erlebnis durch die Überflutung mit Stresshormonen blockiert. Dies erklärt das Unvermögen, sich an ein traumatisches Erleben vollständig und abgeschlossen zu erinnern, was bis zur völligen Amnesie reichen kann. Damit verbunden ist auch das Unvermögen, das erlebte Entsetzen in Worte zu fassen, denn das Sprachzentrum ist ebenso blockiert. Es gibt also keine vollständige abgeschlossene kognitive Erinnerung an das Trauma.
Die Amygdala verarbeitet Emotionen und Reaktionen auf stark affektive Erlebnisse und ermöglicht deren anschließende Speicherung. Die Amygdala ist während eines traumatischen Erlebens voll aktiviert, das bedeutet, die erlebten Emotionen wie Angst und Entsetzen werden weitergeleitet, vor allem in die rechte Hirnhälfte. Dort werden sie in Hirnregionen gespeichert, die nur schwer oder auch gar nicht dem bewußten Denken zugänglich sind. Die Betroffenen erleben später diese Affekte immer wieder, würden sie gerade in diesem Augenblick geschehen. – als ob sie mitten in einem Horrorfilm stehen würden. Was dabei fehlt, ist der Zusammenhang, der „ganze Film“ über das Erlebte. Wie belastend dies für einen Menschen sein muss, lässt sich nur erahnen.
Während eines Traumas kann es aber auch – quasi als akuten Schutzmechanismus vor der massiven Überflutung -  zu einer peritraumatischen Dissoziation kommen: Der Betroffene „steigt aus dem Erleben aus“, ist wie geistesabwesend, spaltet Gefühle, Empfindungen vom Erleben ab. Bei Kindern geschieht die Dissoziation sehr schnell und sehr gehäuft.
Diese abnormen Reaktionen des Gehirns auf ein traumatisches Ereignis  führen auch zu den Schwierigkeiten und Problemen im weiteren Verlauf bis hin zur sogenannten Posttraumatischen Belastungsstörung. So können sich Betroffene z.B. nicht mehr an traumatische Erlebnisse erinnern, leiden aber unter massiven Ängsten und körperlichen Beschwerden. Oder sie können detailgetreu den Ablauf erzählen, aber ohne jedes Gefühl, als seien sie gar nicht beteiligt gewesen.
Ein letzter Punkt ist wichtig: Der Körper ist überflutet mit Stresshormonen und durch das völlige Chaos bleibt das Signal aus, den Hormonhaushalt nun wieder in die Normalität zu bringen. Der Körper bleibt unter Anspannung, ist immer auf Gefahr eingestellt. Dies erklärt die vegetativen Störungen, unter denen viele Betroffene leiden – bei nicht erfolgter Verarbeitung des Traumas oft jahrelang. Die Betroffenen leiden unter Schreckhaftigkeit, Schlaflosigkeit und Herzklopfen und anderen Stresssymptomen (Hyperarousal).
Die geschilderten Reaktionen sind Beispiele für das Erleben traumatischer Ereignisse. Jeder Mensch reagiert sehr individuell auf Belastungen, uns so kommen eine Vielzahl an möglichen Reaktionen zustande. Es ist sehr hilfreich für den Umgang mit traumatisierten Menschen, diese Vielzahl an Reaktionen zu kennen.
Es können alle nur denkbaren Störungen auftreten, wie Schlafstörungen, Vergeßlichkeit, Albträume, Aggression, Depression, Schmerzzustände. Sie alle sind als normale Reaktionen auf ein unnormales Ereignis zu verstehen. Oft hilft es den Betroffenen, wenn wir ihnen dieses auch so erklären.

Reaktionen, die bei Kindern auftreten können:

- Hilflosigkeit                                                     - große Angst
– Anklammerungstendenzen                               - Schlafstörungen
– Regression                                                      - Albträume
– Vertrauensverlust                                            - Passivität
– aggressives Verhalten                                       - wiederkehrende Erinnerungen
– wiederholtes Spielen der traumatischen Situation

Ob ein Ereignis zu einer chronischen Traumatisierung führt, ist ebenfalls individuell unterschiedlich. Hier spielen viele Faktoren ein Rolle, wie z.B. die Lebensgeschichte (z.B. biographische Schutzfaktoren und Risikofaktoren, wie etwa eine bereits erlebte frühere Traumatisierung). Auch ist die Reaktion des sozialen Umfeldes entscheidend  für den Verlauf (z.B. ob der traumatisierte Mensch aufgefangen und über einen langen Zeitraum intensiv betreut oder ob er eher mit seinem Entsetzen allein gelassen wird). Konfrontation mit existentiell bedrohlichen Ereignissen im Kindesalter haben andere, meist viel verheerende Auswirkungen als im Erwachsenenalter.


Die Posttraumatische Belastungsstörung:

Die Posttraumatische Belastungsstörung ist gekennzeichnet durch folgende Kernsymptome: Intrusionen, Vermeidung und Hyperarousal. Intrusionen sind sich aufdrängende, belastende Traumaerinnerungen in Form von Bildern, Flashbacks und Albträumen. Diese Schreckensbilder können durch unterschiedliche Reize, sogenannte Trigger, ausgelöst werden. Die Vermeidung bezieht sich auf traumaassoziierte Orte oder Aktivitäten bis hin zu einer emotionalen Taubheit. Das Symptom Hyperarousal habe ich weiter oben bereits erwähnt.

Die Akuthilfe bei traumatisierenden Ereignissen:

Oft lässt sich eine spätere schwere posttraumatische Belastungsstörung durch frühzeitige Akuthilfe vermeiden. Nach einem akuten traumatischen Erlebnis brauchen die Betroffenen vor allem Menschen, die ihnen zur Seite stehen, denen sie immer und immer wieder von ihrem Schrecken erzählen können, die ihre Verzweiflung aushalten und mit ihnen zusammen stabilisierende und tröstende Wege suchen. Hier ist die berufsübergreifende Hilfe unerläßlich.

Wichtige Punkte bei der Betreuung sind:

  • Der Betroffene braucht vor allem Sicherheit (äußere Sicherheit geht vor innerer Sicherheit!) und einen Menschen,     der Halt gibt und da ist. Auf Station ist es wichtig, im Team abzusprechen, wer sich z.B. um den Betroffenen kümmern kann. Das braucht Zeit und Raum.
     

  • Kinder beruhigen sich meist gut durch Berührung. Sie sollten nicht von Bezugspersonen getrennt werden.
     

  • Der Betroffene muss über sein Erleben erzählen können, ohne dazu gedrängt zu werden.


Das heißt für die betreuende Person, dass sie viel Schmerz, Leid und Verzweiflung aushalten muss.

  • Wichtig ist die nicht beurteilende Akzeptierung der äußerst vielfältigen Reaktionen und eine spürbare solidarische Haltung des Helfenden. Das bedeutet wiederum, dass die betreuende Person die möglichen Reaktionen kennt und sie aushalten kann.
     

  • Zentraler Bestandteil ist immer eine vollständige und transparente Information, zum einen über das äußere und körperliche Geschehen und die Art der eingeleiteten Maßnahmen, zum anderen aber auch über das innere Geschehen nach Traumatisierungen.
     

  • Hilfreich ist ein Informationsblatt über psychische Reaktionen, das sich der Betroffene später noch einmal durchlesen kann, weil er im Moment des Schocks gar nicht so viel auf einmal aufnehmen kann.
     

  • Der Betroffene braucht körperliche Betreuung und Zuwendung, Beruhigung, er braucht einfache Entspannung und Trost. Ein traumatisierter, geschockter Mensch ist hoch sensibel und psychisch instabil.


Schädlich sind Floskeln wie „das wird schon wieder“, Vorwürfe wie „warum haben Sie das nicht bemerkt“, Lügen über den Zustand, Pathologisieren wie „das kann ja nicht mehr normal sein, wie der sich benimmt“, Hektik und Versprechungen, die nicht eingehalten werden können.

Die psychotherapeutische Behandlung:

Die Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung orientiert sich an den Symptomen. Die Betroffenen erlernen Mechanismen, mit denen sie den quälenden Gefühlen des Ausgeliefertsein und der Hilflosigkeit entgegentreten können, um wieder die Kontrolle über ihr Erleben zu bekommen. Dies geschieht vor allem durch die Arbeit mit inneren Bildern, mit Imaginationen. Denn wenn das Trauma vorüber ist, quälen die Erinnerungen. So lernen die Betroffenen Distanzierungstechniken, um die Schreckensbilder bewußt wegschließen zu können und Selbsttröstungstechniken, um positive Empfindungen bewußt herbeiholen zu können.

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